Snowden-Interview und Journalismus

Die Umstände der Veröffentlichung des NDR-Interviews mit Edward Snowden haben gestern Abend für Aufruhr in der Twitter-Filterblase gesorgt – schnell wurden Formulierungen gewählt und Urteile gefällt. Zwar darf der vermutete Patzer der Öffentlich-Rechtlichen nicht zu Verurteilung und Verschwörungstheorien führen, trotzdem halte ich Besorgnis für angebracht.

Als gestern Abend das erste Fernsehinterview mit dem NSA-Aufklärer Edward Snowden in der ARD ausgestrahlt wurde, war es bereits 23:05 Uhr. Das exklusive Interview war auch gleichzeitig online veröffentlicht worden – jedoch ausschließlich mit deutscher Tonspur und durch GeoIP-Sperre nicht außerhalb von Deutschland abrufbar (mittlerweile ist auch die Fassung ohne deutsche Tonspur in der ARD-Mediathek abrufbar, jedoch scheint der Zugang weiterhin per GeoIP-Filter vor Zugriffen aus dem Ausland gesperrt zu sein). Die Empörung im Wasserglas Twitter war groß und sparte nicht an pauschalen Urteilen über den Zustand des Journalismus im Ganzen oder Verschwörungstheorien über die politischen Gründe für diese Einschränkungen.

Ich verstehe die Intention der Produktionsfirma, mit dem den Verkauf der Rechte an ausländische Medien Geld zu verdienen und halte sie für legitim. Wieso dies nicht bereits vor der Ausstrahlung in Deutschland geschehen ist, um für eine weltweite Veröffentlichung zum gleichen Zeitpunkt zu sorgen, ist mir unklar. Nach allem, was ich über die Medien weiß, wird das Material von Stunde zu Stunde weniger wert.

Auch wenn ich mit der Art und Weise der Empörung und der Schlüsse, die manche auch innerhalb der Piratenpartei gezogen haben, nicht einverstanden bin, habe ich Verständnis dafür. Denn durch die Repressionen, denen der Guardian durch die Snowden-Veröffentlichungen ausgesetzt war, wurde zuletzt unangenehm deutlich, wie es um die Pressefreiheit in Europa bestellt ist.

Ein Journalismus, der dermaßen unter Druck gesetzt wird, muss sich dagegen zur Wehr setzen, mit den schärfsten Kommentaren, den größten Schlagzeilen und der weitesten Verbreitung. Ein Journalismus, der dermaßen um seine Unantastbarkeit kämpfen muss, muss parteiisch agieren – und zwar für sich selbst. Deswegen muss er jetzt auch kritisiert werden. Denn bei dieser Zurückhaltung und Zahmheit bekomme ich Angst um ihn.

9 Antworten auf „Snowden-Interview und Journalismus“

  1. Ich war wahrscheinlich Teil deiner Filterblase, immerhin folgen wir uns gegenseitig und ich habe mich gestern abend mit aufgeregt. Es war von Anfang an klar, dass es letztendlich um Geld geht. Ich halte die folgenden Punkte für angemessene Anlässe zur Aufregung:

    – die Tatsache, dass die Produktionsfirma eine (über zwei Stufen) 100%ige Tochter des NDR ist, hier also nicht äußere, sondern selbstgemachte Regeln zur Einschränkung führten

    – die zunächst eingeschlagene Taktik des NDR, durch pauschalen Verweis auf fehlende Rechte den vorigen Punkt zu verschleiern

    – und dann als Gipfel, als gestern nacht @ARDPresse „Das Snowden-Interview im Wortlaut“ twitterte und auf das Transkript der Übersetzung verlinkte.

    Darin liegt eine empörende Dummheit und auch ein Versuch der Verdummung. Wie du selbst sagst, ist der NDR nicht geschickt mit dem eigenen Material umgegangen. Dazu gehört auch die Sendezeit und die Reihenfolge von (nicht gelungener) Talkshow und danach Ausstrahlung des Interviews.

    Ich halte auch den von dir als legitim bezeichneten Versuch, mit der internationalen Verwertung Geld zu verdienen, für kritikwürdig. Dieser Anspruch passt weniger gut zu einem journalistischen Inhalt, eher zu Serien o.ä. Wenn die Folge ist, dass ein auch international interessanter Inhalt nur aus Deutschland und nur auf Deutsch erreichbar ist, beschädigt man journalistische Ziele und seinen eigenen Ruf.

    Letztendlich sollte dies ein Anstoß zu einer Diskussion sein, wofür Gebührengelder ausgegeben werden sollten, wo man versucht, durch Zuverdienen via Zweitverwertung andere Gelder hereinzuholen und wo nicht. An dieser Stelle hat gestern abend der NDR meiner Ansicht einigermaßen episch versagt. Und an diesem Punkt lohnt es sich meiner Ansicht, die Aufregung nicht zu vergessen, weil jetzt erste Kompromisse durch die Veröffentlichung der Originalversionen (aber nur für Deutschland) gemacht wurden. Der angesprochene Punkt sollte mit Blick auf zukünftige, ähnliche Situation diskutiert werden.

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